Kann er nicht mal stillsitzen? Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt. Ich kann auch nicht immer so, wie ich gerne will.“ „Haben Sie Ihr Kind nicht im Griff? Bringen Sie ihn bitte endlich zum Schweigen, dieser Geräuschpegel ist ja unerträglich.“ „Autismus gibt es doch gar nicht. Es ist eine Modekrankheit wie Burnout oder eine nette Umschreibung für schlechte Erziehung.“
Dies sind nur einige verletzende Sprüche, die Eltern von Kindern mit Autismus-Spektrum Störung häufig ertragen müssen. Der Leidensdruck ist hoch und viele Eltern bekommen sogar keinen dringend benötigten Therapieplatz und fühlen sich oft mit Hilfsangeboten im Stich gelassen.
Autismus ist keine Krankheit, sondern eine neurologisch bedingte Wesensart. Menschen im Autismus-Spektrum haben eine andere Wahrnehmungsverarbeitung, andere Denk- und Lernstile, eine andere Art der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie einige Verhaltensweisen, die nicht-autistischen Menschen nicht unmittelbar verständlich sind. Ein bis zwei Prozent der Menschen sind autistisch. Das ist viel mehr als man früher dachte. Bis vor einigen Jahren wurden unauffällige Formen von Autismus wie das Asperger-Syndrom nicht erkannt. Denn Autismus ist ein Spektrum. Das heißt, dass autistische Menschen sich sehr voneinander unterscheiden. Zum Beispiel sprechen manche Menschen im Autismus-Spektrum überhaupt nicht. Andere wiederrum verfügen über sehr gute mündliche sprachliche Fähigkeiten, aber sie finden es trotzdem schwierig, aufgrund der sozialen Aspekte ein Gespräch zu führen. Keine zwei Menschen im Autismus-Spektrum sind gleich. (Quelle: https://autismus-kultur.de/was-ist-autismus)
Ich habe mich vor einigen Jahren bewusst für die Arbeit mit autistischen Kindern entschieden und habe es bis heute nie bereut. Sie werden heute bei uns einen kleinen Einblick erhalten, wie die konkrete ergotherapeutische Förderung aussehen kann.
„Paul, ein 5-jähriger Autist mit schwerer geistiger Behinderung. Der Junge ist ganz schwierig, wenn ihm etwas nicht passt, beginnt er laut zu Schreien und lässt sich nur durch wildes Schaukeln oder Singen wieder beruhigen. Er spricht nicht und tritt mit seiner Außenwelt nicht in Kontakt. Eine besondere Vorliebe hat er für alles was glitzert, aber wehe man möchte ihm den Glitzerball wieder abnehmen, dann bringt man sich lieber in Sicherheit“. So wurde mir Paul damals bei einer Kita Hospitation vorgestellt und ich dachte mir „Das wird bestimmt eine Herausforderung“. Getroffen habe ich ein Kind, das sehr wohl kommuniziert hat. Nur auf einer ganz anderen Ebene, wie ich es bisher gewohnt war. Er forderte von mir absolute Klarheit ein und mit derselben Klarheit trat er mir gegenüber – keine Kompromisse. Um ihm zu begegnen, musste ich meinen Standpunkt, mein Bild, wie die Welt funktioniert, verlassen. Gesehen habe ich in ihm ein Kind mit unglaublichem Lernpotential und großer Lebensfreude. Und weil ich in seine Welt gefunden habe, hatte er das Vertrauen mir in unsere Welt zu folgen. Nach acht Wochen Therapie sah er mir zum ersten Mal in die Augen und gab mir die Karte für „Hängematte“, welche er von Tag 1 an liebte.
Die Arbeit mit TEACCH (Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children) findet häufig Anwendung in der Therapie und hat sich bereits seit vielen Jahren fest etabliert. Ziel von TEACCH ist das Erlernen von funktionalen Verhaltensweisen, die eine Entwicklung von selbstständigen Handlungskompetenzen ermöglichen und somit die Lebensqualität für Menschen mit ASS verbessern. Durch Strukturierung der Umwelt des Kindes, z.B. durch Bilder und Pläne, kann sich das Kind besser orientieren und Zusammenhänge erkennen. Diese klare Strukturierung ermöglicht dem Kind Abläufe zu durchschauen, sowie das eigene und fremde Verhalten besser zu verstehen. (Quelle: https://www.autismuszentrum-sonnenschein.at/wissen-erfahrungen/teacch-treatment-and-education-of-autistic-and-related-communication-handicapped-children)
So zeigte ich Paul in der Therapie den Erst-Dann-Dann-Plan (siehe kleines Foto) zu Beginn jeder Stunde. Auf diesem Plan stand z.B. „Hängematte“, „Zuordnen“ und dann „Singen“ als Belohnung. Die Hängematte benötigte ich als „Ankommen/Wohlfühlen/Rettungsanker“ in der Therapie bevor es dann in die Arbeitsphase (Sortieren) und am Ende in die Belohnungsphase (Singen) überging. Natürlich ist es wichtig jede Phase zeitlich durch den Time-Timer (spezielle Uhr zur Veranschaulichung zeitlicher Abläufe, siehe kleines Foto) zu visualisieren, denn es sind oftmals die Situationsübergänge, die Kindern mit ASS besonders schwerfallen. Durch feste Rituale und klare Strukturen, z.B. das Beenden der Sortieraufgabe im „Fertig-Korb“ (ein Korb, in den erledigte Aufgaben gelegt werden), gelang es Paul schon nach ca. 16 Wochen schwierigere Aufgaben anzunehmen, die Schuhe selbstständig anzuziehen und zu schließen sowie eigene Bedürfnisse und Wünsche vermehrt mit den Bildkarten mitzuteilen.
Dieses Geschenk, das ich damals erfahren durfte, und das ich in meiner täglichen Arbeit immer wieder erfahren darf, möchte ich auf keinen Fall missen.
Christina Kaufmann
Fachliche Leitung Ergotherapie